Ein neuer Schritt

Als ich mit der Begleitgruppe begann, hatte ich bereits viele Stunden an therapeutischer Selbsterfahrung und Gesprächen hinter mir, in denen ich mich besser kennengelernt hatte und gelernt hatte, mein Leben grossteils so zu gestalten, dass es mir entspricht und mir gut tut. Ich hatte mich auch intensiv mit meiner Familiengeschichte auseinandergesetzt und dabei Zusammenhänge zwischen meinem Geworden-Sein und meinen heutigen Mustern und Verhaltensweisen erkannt. Die grosse Distanz zu meinen Eltern blieb aber bestehen und es herrschte noch immer die gut bekannte Sprachlosigkeit zwischen uns. In der Begleitgruppe beschäftigten wir uns gründlich damit, die Leiden und Mängel unsere Kindheit zu benennen. Damit wurde für mich deutlicher, wie es zu der Distanz zu meinen Eltern kam und ich konnte erneut betrauern, wo ich verletzt und vernachlässigt worden war. Mir wurde bewusst, dass ich heute für mein Leben selbst verantwortlich bin und es nicht hilft, die Verantwortung an meine unzulänglichen (wer ist das nicht?) Eltern abzuschieben. Die Rolle der Anklägerin hatte ich über viele Jahre gelebt. Ich empfinde die Anklage als einen wichtigen Teil, aber ich will nicht dabei stehen bleiben. Im Begleitgruppenprozess wurden wir weitergeführt zu einer einfühlenden Haltung gegenüber unseren „Tätern“, in meinem Fall gegenüber meinen Eltern. Ich konnte mich in ihr Leiden an der Situation einfühlen und spürte ihre Hilflosigkeit und ihren guten Willen. Das berührte mich tief und stimmte mich milde. In einer Mischung aus Herz und Verstand konnte ich ihnen in Briefen (die nicht abgeschickt, aber in der Gruppe vorgelesen wurden) Vergebung zusprechen. Damit fand ein Rollenwechsel von der Anklägerin zur Barmherzigkeit Übenden statt. Wie viel freier, leichter und lebendiger fühlte sich das an! Ich war erstaunt, wie sich mein innerer Prozess, von dem ich meinen Eltern nichts erzählt hatte, auf die Beziehung zu ihnen auswirkte. Zum ersten Mal empfand ich keine Angst mehr vor Nähe zu ihnen. Mit meiner Mutter ergaben sich Gespräche, in denen ich ihr sagen konnte, wie ich sie erlebe und was für mich in unserer Beziehung schwierig war und ist. Sie musste nicht in eine Verteidigungshaltung gehen, da meine Worte ohne Anklage gesprochen wurden. Gerade komme ich von einer Woche Familienferien mit meinen Eltern und 3 Geschwistern mit Familien zurück. Es ist erstaunlich für mich, dass ich die Zeit schön und erholsam erlebte. Es gab einzelne Konflikte mit meiner Mutter, die ich offen mit ihr ansprechen konnte und bei einem gemeinsamen Kaffee klären konnte. Ich merke, dass der Weg, den ich für mich gegangen bin, heilsam in die ganze Familie hineinfliesst. Ich  kann das Gute, das meine Eltern mir geben, deutlicher sehen, weil ich meinen Blick nicht mehr so sehr auf ihre Mängel richten muss. Als ich mit meinem Mann und meinen Kindern von den Ferien nach Hause fuhr, hatte ich richtig gute Laune. Und das ist nach Begegnungen mit meinen Eltern überhaupt nicht normal.
Den Rahmen einer Kleingruppe fand ich passend und hilfreich. Es gab genug Platz für jede Einzelne und gleichzeitig gaben die Prozesse der anderen oft Anstösse für meinen eigenen Prozess. Von den beiden Leiterinnen wurden wir kompetent und einfühlsam begleitet. Ich bin dankbar, dass ich mit Agapa in Kontakt kam und nun wieder ein ganzes Stück freier durchs Leben gehen kann.

22.10.2014 agapa gs